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Kapitel I - 2019 Projekt: Mitversorger


Kapitel I - 2019 Projekt: Mitversorger


Wie in den Jahren zuvor erweiterte ich auch in diesem Jahr meine Anbaufläche, völlig absurd nachdem ich eigentlich 2018 bereits an meine Grenzen gestoßen bin. Das Gefühl eine Routine entwickelt, durch Fehler und Erfolge meine Prozesse optimiert zu haben, ermutigte mich noch eins oben drauf zu setzen. Ich wollte wissen ob ich in der Lage sein würde noch mehr Menschen mit meinem köstlichen Gemüse zu versorgen. Die Nachfrage war groß, was meine Nachbarn 2018 probiert hatten machte Lust auf „mehr.“


Mein drittes Jahr als Selbstversorger fing wesentlich früher an als die beiden Jahre zuvor, es juckte mich in den Fingern und ich war neugierig ob ich mit einem früheren Anziehen der Sämlinge noch bessere Ergebnisse erzielen könnte. Statt im März mit dem Vorziehen anzufangen startete ich genau am 15. Februar mit Paprika, Chili und Auberginen, für genau diese Kulturen war das Timing gut. Auch die Zwiebeln und Ackerbohnen wurden bereits Mitte Februar gesteckt, einen Unterschied zu 2018, wo diese Kulturen gut 2-3 Wochen später gepflanzt wurden, konnte ich allerdings nicht feststellen. Die Tomaten habe ich in dieser Saison 2 Wochen vor meinem regulären Termin vorgezogen, das war ein Fehler. Schlechte Lichtverhältnisse führten dazu das einige Pflanzen leicht vergeilten. Hier muss ich ganz klar sagen, dass mein ursprüngliches Datum, der 20. März, bisher am besten abgeschnitten hat für das Vorziehen von Tomaten. Die Moral aus der Geschichte ist, dass man bei einigen Nutzpflanzen nicht zu früh anfangen sollte, das bringt mehr Nachteile als Vorteile und man produziert anfällige sowie schwache Pflanzen, die am Ende weniger und schlechtere Erträge liefern.


Der Frühling kündigte sich an und die ersten Bäume fingen an Blätter auszutreiben, aber ich konnte auch etliche Bäume in meinem Umfeld sehen die keine Blätter mehr hatten. Die Folgen der Dürre 2018 offenbarten sich mit jeder weiteren Woche. Immer mehr Bäume blieben kahl, es war das Jahr der sterbenden Bäume und Wälder, meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Eine alte Rotbuche vor der Kita meiner Kinder war ein beliebter Kletterbaum, auch sie trieb nicht mehr neu aus, die Trauer bei den Kids war erschreckend groß, als dann irgendwann der Baum gefällt werden musste. Ich sah, und sehe auch heute noch viele Bäume denen es nicht gut geht, auch wenn sie noch Blätter haben leiden sie. Vielen Menschen fällt das gar nicht auf. Wie auch, es gibt Menschen die haben sich im Leben noch nie so richtig einen Baum angeschaut. Solche Menschen können den einen Baum auch nicht von einem anderen unterscheiden. Das Wort Wahrnehmungsgabe besteht aus Wahrnehmung und Gabe, nicht jeder Mensch verfügt über diese Gabe, bei mir schien sie allerdings besonders ausgeprägt. Es war für mich umso schwerer, denn ich sah Probleme die andere nicht sehen wollten.


An meinem Geburtstag Anfang Mai klingelte früh morgens das Telefon, die Telefonnummer meiner Mutter war auf dem Display zu erkennen. Ich dachte mir „Oh da ist die Mutti aber früh dran diesmal“. Doch als ich ihre weinende Stimme vernahm wurde mir ganz anders, in der Nacht zum 3. Mai ist mein Mentor und Großvater im Alter von 96 Jahren verstorben und machte meinen Geburtstag zu seinem Todestag. Für mich brach eine Welt zusammen und selbst Monate später, wo ich an diesen Zeilen schreibe ist meine Trauer unermesslich. Ich konnte keinen Abschied nehmen, das belastet mich bis heute schwer. Mit meinem Großvater ist der beste Gärtner den ich je kennenlernen durfte von mir gegangen. Einen enormen Teil seines Wissens hat er mit sich genommen, es war auf einmal unwiederbringlich weg, mein wandelndes Lexikon das auf jede Frage eine Antwort hatte, er war nicht mehr da. Der Mensch, der mich Werte, Traditionen und Respekt für die Natur gelehrt hatte. Jetzt stand ich wortwörtlich in seinen Fußstapfen, so wie er es 2 Jahre zuvor angedeutet hatte.


Ich musste also nach Italien zur Beerdigung und verlor dadurch gut eine Woche in der ich sonst wahrscheinlich einen Großteil meiner vorgezogenen Pflanzen ausgepflanzt hätte. Am Ende war es ein Glücksfall das ich nicht dagewesen bin. Am 6. Mai gab es bei mir nochmal einen ordentlichen Frost. Die im April gesetzten Kartoffeln die schon ausgetrieben waren erhielten schwarze Blattspitzen, man sagt auch „schwarze Öhrchen“ dazu. Ich habe allerdings Glück gehabt und es wurde kein gravierender Schaden oder Ernteausfall daraus. Wäre ich zuhause geblieben hätte ich Paprika und Tomaten ausgepflanzt wie im Jahr 2018, gut das dies durch diesen tragischen Vorfall verhindert wurde.


Der Sommer näherte sich und mit ihm eine erneute Dürre. Es regnete nur sehr unregelmäßig und leider viel zu selten. Das war der Moment an dem ich meinen Zweifel am Satz „2018 war ein Ausnahmejahr“ bestätigt sah. Folglich werden wir lernen müssen uns den neuen klimatischen Bedingungen anzupassen. Mir wurde schlagartig klar, dass ich mit meinem Konzept bereits super aufgestellt war und die klimatischen Veränderungen zu meinem Vorteil nutzen konnte.


Genau einen Monat nach dem Tot meines Großvaters wurde ich früh morgens durch lautes Knallen aus dem Schlaf gerissen. Ein Hagelsturm zog ganze 5 Minuten über unser Haus und machte ordentlich Lärm. Das war der Tag, an dem ich zum ersten Mal nicht in den Garten gehen wollte. Ich ahnte schon was mich dort erwarten würde, aber ich kam nicht drum herum nach draußen zu gehen. Der Anblick war furchtbar, fast alles war betroffen und zerfetzt. Die Arbeit der letzten Wochen und Monate lag elendig vor mir im Matsch. Ich musste weinen, dachte an meinen Opa der nicht mehr helfen konnte und sah das Desaster vor mir, das war alles zu viel für mich. Das Tomatenhaus, mein Carport war gelöchert wie ein Schweizer Käse und die Tomatenpflanzen darunter geköpft und gespalten. Einige Kulturen wie der Mangold oder die Rote Beete waren komplett weg radiert bis auf die Wurzeln. Selbst mein Folientunnel hatte Risse und Schäden, die Rollläden am Haus hatten Löcher und das Auto Beulen. Es war ein grauenvoller Anblick und dennoch machte ich mir selbst Mut, mit Neugier zu beobachten wie die Pflanzen mit diesen massiven Schäden umgehen würden. Ich wollte sehen, was sich erholen würde. Ich wollte erfahren wie signifikant meine Ernten dadurch geschwächt würden. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, dem totalen Ende meines Selbstversorgerprojekts. Die folgenden 2 Wochen verbrachte ich damit die Schäden zu reparieren. Ich richtete auf was noch aufzurichten war, stützte Pflanzen die eingeknickt waren, schnitt das zerfetzte Laub zurück damit es nicht anfing zu faulen. Wie durch ein Wunder erholte sich ALLES, und damit meine ich ernsthaft ALLE 146 unterschiedlichen Nutzpflanzen die ich zu diesem Zeitpunkt im Garten gepflanzt hatte. Natürlich gab es auch ein paar Opfer, so erholten sich zum Beispiel einige Gurkenpflanzen nicht mehr von den Schäden und verkümmerten, aber andere überlebten. Ich war extrem begeistert, was für enorme regenerative Eigenschaften die Zwiebel oder die Tomate hat. Innerhalb von 17 Tagen sahen die Pflanzen wieder aus wie neu. Die Schäden konnte man an einigen Kulturen das ganze Jahr über sehen, besonders gelöcherte Blätter, die gespaltenen und verheilten Tomatenpflanzen oder die zerbeulten Äpfel, die leider zum Komplettausfall wurden, erinnerten mich die ganze Saison über an diesen zerstörerischen Hagelsturm. Diesem folgten übrigens noch 2 weitere Hagelstürme im Abstand von jeweils 2 Wochen die glücklicherweise nur sehr kurz andauerten und somit kaum nennenswerte Schäden hinterließen, und das obwohl einige Hagelkörner so groß waren wie eine 2 Euro Münze.

Dank meines Gartens konnte ich meine Trauer bändigen indem ich viel Zeit damit verbrachte meine Pflanzen zu pflegen und an meinen Opa zu denken. An manchen Tagen hatte ich das Gefühl, er würde neben mir stehen, mir zuschauen wie ich sein Werk fortführe. Das gab dann immer Gänsehautfeeling und gelegentlich auch Tränen. Wenn ich heute an diese Zeit zurück denke kommt es mir vor, als wäre ich zu der Zeit im Nebel gewandert. Ich hatte keinen klaren Blick mehr, die Zeit zog sehr schnell an mir vorbei und Schwupps die Wupps standen die fetten Ernten an und lenkten mich weiter ab. Ich war extrem begeistert: Fast alle Kulturen hatten den Hagelsturm überwunden und lieferten gute Erträge. Natürlich waren Einbußen dabei, ich würde sagen das der Sturm gute 25% an Erträgen gekostet hat, aber er hat mich nicht in die Knie gezwungen. Im Gegenteil, er sorgte dafür das ich umfangreiche neue Erkenntnisse in Bezug auf die Regenerationsfähigkeit von Gemüsepflanzen sammeln konnte. Niemals das Handtuch werfen, immer nach vorne schauen, so lautete von da an meine Devise!


Der Gedanke in Vollzeit landwirtschaftlich tätig zu werden spukte ja bereits seit 2018 in meinem Kopf herum. Ich wollte damals über meinen Schatten springen und etwas Neues machen, etwas das mich wieder so erfüllen würde wie dieses Selbstversorgerprojekt, das mich von Tag zu Tag mehr begeisterte. Mit der Flächenerweiterung 2019 erzielte ich ordentlich Überschüsse und konnte regelmäßig neben der Familie auch weitere Nachbarn und Freunde mit Gemüse versorgen. Der Zuspruch aus meinem Umfeld bestärkte mich diesen Schritt ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Ich erhielt so viel positives Feedback zu fast jeder Gemüsesorte die ich bei mir angebaut habe, immer wieder fielen Sätze wie „Das ist der beste Brokkoli den ich je gegessen habe!“ oder „Deine Tomaten sind der Hammer, die schmecken auch nach Tomate!“. Es war höchst motivierend das zu hören und die zufriedenen Gesichter der Menschen zu sehen, die mein Gemüse zu schätzen wussten. Oft haben einige meiner Nachbarn gefragt ob ich Hühner hätte oder auch Eier verkaufen würde. „Leider nein“ musste ich antworten, aber der Traum von eigenen Hühnern war so alt wie der Traum mein eigenes Gemüse anbauen zu können. Mein Opa hatte immer Hühner, er nutzte den Mist gezielt für manche Gemüsepflanzen wie Tomaten und andere Starkzehrer und ich kann mich noch bestens an die tollen Frühstückseier erinnern als ich in den Sommerferien bei meinen Großeltern zu Besuch war, aber den Stall meiner Großeltern habe ich mir nie genau angeschaut.


Jedes meiner Selbstversorgerjahre hatte ein Bauprojekt das mir wichtig war, aber das Projekt Hühnerstall habe ich von einem ins nächste Jahr geschoben, weil ich keine Idee hatte wie ich vorgehen sollte. Ich wollte auch Hühner, also musste ich das Projekt in Angriff nehmen. Für die Planung und Umsetzung des Hühnerstalls, den Auslauf sowie die Umzäunung benötigte ich fast einen ganzen Monat. Ich wollte unbedingt altes Material aus der Hausrenovierung im Hühnerstall verbauen. Ich hatte noch 10 alte Türen im Keller aufbewahrt, aus denen sollte die Isolierung für den Hühnerstall realisiert werden, damit es den Hühnern im Winter nicht zu kalt wird und ich auf eine Styropordämmung verzichten konnte. Das war eine ideale Gelegenheit das Material als Upcycling sinnvoll zu verwerten. Immer wenn ich ein paar Stunden Zeit hatte, neben dem Einmachen von Tomaten und anderen Leckereien, arbeitete ich am Hühnerstall. Das ging von Mitte September bis Mitte Oktober und dann war mein Öko-Hühnerstall aus Holz und mit Kalk verputzten Innenwänden fertig. Einer meiner Nachbarn hält Tauben und ist Mitglied in einem lokalen Zuchtverein für Geflügel, über ihn erhielt ich den Kontakt zu tollen Hühnerhaltern die ihre Tiere natürlich mit großen Freilaufgehegen halten. Zusammen mit den Kindern besuchten wir einen Geflügelzüchter und kauften unsere ersten 5 Hühner und einen wunderschönen Hahn, der auf die Hennen aufpassen sollte. Zwei Tage später gab es auch schon das erste Ei. Ein freudiger Moment an den ich mich gerne zurück erinnere, es war das Huhn meiner kleinsten Tochter. Sie hat das Huhn „Gockgock“ getauft. Hühner sind wundervolle Tiere: neugierig, lernfähig und unheimlich lieb, aber das allerbeste an Hühnern ist das sie einen zum Lachen bringen. Bei mir dürfen diese Tiere nach dem abernten überall auf 1500 qm umherlaufen, teilweise flatterten die Guten über 10 Meter durch den ganzen Garten und hatten sichtlich Spaß. Je mehr Platz und Abwechslung man den Tieren bietet desto wohler fühlen sie sich. Und glaubt mir: glückliche Hühner machen glückliche Menschen. Es ist so schön zu sehen wie der Hahn die Hennen zu sich ruft sobald er etwas zu fressen gefunden hat und ganz stolz ist, wenn die Hennen dann zu ihm gelaufen kommen. Ich bin jedenfalls schwer beeindruckt wie der Hahn sich um seine Hennen kümmert und wie liebevoll er auf sie aufpasst. Das Jahr neigte sich langsam dem Ende zu und mir wurde bewusst das ich meinen regulären Beruf in der IT-Branche so nicht mehr fortführen könnte. Ich hatte das Gefühl ausgebrannt zu sein, erkannt habe ich das allerdings erst durch mein Selbstversorgerprojekt. Es hat mir so viel zurückgegeben, mich motiviert und stolz gemach. Heute glaube ich das ich 2016 kurz vor einem Burnout stand als dann alles seinen Lauf genommen hat und ich anfing auf mein Herz zu hören. Alles was ich die letzten Jahre getan hatte machte plötzlich noch viel mehr Sinn als je zuvor. Ich verstand immer mehr, dass die Selbstversorgung ein Teil der Lösung sein könnte für viele Probleme die unsere moderne Zivilisation angesammelt hatte. Vom irrsinnigen Leistungsdruck dieser Gesellschaft bis hin zum Insektensterben durch Pestizide, ernährungsbedingte Krankheiten und Allergien, dem Klimawandel, dem belasteten Grundwasser… Alles könnte mit Selbstversorgung und ökologischer Landwirtschaft besser werden, dessen bin ich mir sicher. Ich habe meinen Traum Wirklichkeit werden lassen. Ganze 1095 Tage nur von meinen Erzeugnissen gelebt ohne ein Gramm Gemüse oder Obst gekauft zu haben. Ich habe gelernt ein nachhaltiges Leben zu führen, meinen Konsum mehrfach zu hinterfragen und meinen ökologischen Fußabdruck zu optimieren. Über die sozialen Netzwerke habe ich verstanden das viele Menschen ihr Leben nachhaltiger gestalten möchten, das immer mehr auch ihr Gemüse selbst anbauen wollen, sich regional, saisonal und ökologisch ernähren möchten, und genau für diese Menschen möchte ich mit Rat und Tat zur Seite stehen im Jahr 2020. Ich möchte, dass es mehr Menschen verstehen und umsetzen. So viele, dass die Probleme unserer heutigen Gesellschaft gelöst werden und wir in ein neues ökologisches Zeitalter übergehen. Das wir der Natur mit dem nötigen Respekt begegnen und in der Lage sind, dadurch unsere Familien zu schützen. Ich möchte beweisen, dass mein landwirtschaftliches Konzept phänomenale Ergebnisse abliefern kann. Über die Agrarwende wurde viel geredet, passiert ist allerdings nichts in diesen Jahren. Mittlerweile glaube ich viel mehr das wir eine AgrarRevolution benötigen! Ich möchte ein Teil davon sein und ökologische Nahrung für mich, meine Familie, Freunde, aber auch fremde Menschen produzieren! Ein neues Abenteuer steht nun vor mir und ihr könnt alle ein Teil davon sein. Wir werden gemeinsam für einen echten Wandel in dieser Welt sorgen! Die Natur gibt uns die Lösung vor, wir müssen nur bereit sein, dies zu erkennen und umzusetzen.

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